…Ja, das habe ich.
Ich habe endlich einen Abschluss. Okay, es ist zwar nur ein Hauptschulabschluss, aber besser als nichts.
In meinem Abschlusszeugnis stehen fast nur Einser, aber auch eine zwei.
Im Vergleich zu meinem letzten Zeugnis davor ist das echt ein kometenhafter Aufstieg, könnte man sagen.
Jetzt fragt ihr euch sicher: Wie, der ist 18 und hat jetzt erst seinen Hauptschulabschluss? Wie kommt das denn?
Die Langfassung könnt ihr in meinem Blogpost von September lesen, da ihr dazu aber sicher zu faul seid, hier die Kurzfassung:
1999 wurde ich eingeschult und bin 4 Jahre in die Grundschule gegangen.
2003 kam ich auf’s Gymnasium
2006 habe ich wegen unzureichender Leistungen in Französisch (ich war insgesamt von den Leistungen her mittelmäßig, aber in Französisch habe ich eine 6 bekommen. Eine 6 im Hauptfach kann man nicht ausgleichen, auch wenn man sonst nur Einsen hat) die 7. Klasse wiederholt.
2007 habe ich eine 3 im Zeugnis in Französisch geschafft! Ich hatte einen neuen Lehrer, der recht locker war und nicht so streng.
2008 musste ich vom Gymnasium runter (exakt das selbe Szenario wie 2006, was möglicherweise daran gelegen hat, dass ich wieder die selbe Lehrerin hatte. Die hat mich abgrundtief gehasst, ich weiß nicht, wieso. Eine 6 wird ja fast nie vergeben, selbst, wenn man grottenschlecht ist. Eine 6 gibt es eigentlich nur, wenn man in dem Fach nie da gewesen ist. Ich war aber IMMER da) und kam dann in eine Realschulklasse einer Gesamtschule (Gymnasial-Klasse ging nicht, wegen der 6, da hätte ich die 8. Klasse nochmal machen müssen und das wollte ich nicht).
2009 wollte ich meinen Hauptschulabschluss machen. Ich habe an den schriftlichen Prüfungen teilgenommen und war auch recht gut (Englisch 1, Deutsch 2, Mathe 3), doch dann wurde ich krank. Jetzt nichts Weltbewegendes, ein Bisschen Magen-Darm, ein Bisschen Kotzerei und nach 2 Wochen war ich dann auch wieder da. In diesen 2 Wochen, in denen ich weg war, hätte ich aber meine mündliche Prüfung halten sollen.
Mein Klassenlehrer hat mir dann gesagt, ich könne diese Prüfung zwar noch nachholen, das sei aber nicht zwingend notwendig.
Ich dachte mir, ich erspare mir die weitere Arbeit (meine PowerPoint-Präsentation war erst halb fertig) und hole die nicht nach.
Eine Entscheidung, über die ich mich noch heute aufrege.
2010 sollte ich den Realschulabschluss erlangen. Ich erfuhr kurz vor den schriftlichen Prüfungen, dass ich nicht zugelassen bin, mit der Begründung, ich hätte ja keinen Hauptschulabschluss. Ich bin erstmal aus allen Wolken gefallen. Ich hatte ja schließlich ein Zeugnis vom Jahr davor, und das mit Noten, die im Mittelfeld lagen. Ich dachte wirklich bis zu diesem Moment, dass ich einen Hauptschulabschluss hätte! Es war die eine Präsentation, die mir gefehlt hatte, mehr nicht! Ich habe mit meinem Klassenlehrer gesprochen und in daran erinnert, was er im Jahr zuvor gesagt hat. Er behauptete, das habe er nie gesagt, warum auch? Das sei ja völliger Schwachsinn, so etwas würde er niemals sagen!
Ich war am Boden zerstört. Ich bin dann die letzten paar Monate kaum noch zur Schule gegangen, weil ich wusste, dass ich das 10. Schuljahr ohne jeglichen Abschluss beenden würde. Dementsprechend fiel dann auch mein Zeugnis aus.
Die Abschlussfeier war dann der größte Horror für mich. Ich war der Einzige in der Klasse, der am Ende dieser 2 Jahre keinen Abschluss hatte (ein Anderer bekam auch keinen Realschulabschluss, aber der hatte dann doch immerhin den Hauptschulabschluss).
Ich hegte so einen Hass auf meinen Lehrer, dass er mich so falsch informiert hatte. Und ich hasste mich dafür, dass ich ihm vertraut habe.
Ich habe ja nicht erwartet, dass sowas dabei herauskommt.
Ich habe in diesem Sommer oft über Selbstmord nachgedacht, ich dachte, es hat alles keinen Sinn mehr. Vor allem, weil mir mein Vater die Geschichte mit dem Lehrer nicht geglaubt hat und mir mehrmals täglich gesagt hat, dass ich ja nur keinen Abschluss habe, weil ich schlichtweg blöd wäre.
Aber ich hing dann doch zu sehr am Leben.
Im September kam ich dann in eine Berufvorbereitende Bildungsmaßnahme vom Arbeitsamt.
Ziel des Ganzen war ein erweiterter Hauptschulabschluss und eine Ausbildungsstelle.
Das war allerdings nie mein Ziel, zumindest nicht die Ausbildungsstelle, der Abschluss natürlich schon.
Schließlich wollte ich ja von Anfang an noch weiter mit Schule machen.
Das durfte ich meiner Arbeitsamt-Betreuerin natürlich nicht sagen, denn sonst hätte sie die Maßnahme beendet und ich wäre wieder ohne Abschluss dagestanden.
2 Monate lang hatten wir eine „Berufs-Findungs-Phase“, wo unsere Stärken und Schwächen festgestellt wurden.
Wir mussten so dämliche Aufgaben machen, wir Häuser aus Papier bauen, oder so tun, als würden wir jemanden was verkaufen wollen.
Das war echt öde.
Im November dann wurden wir als Klasse zusammengewürfelt und hatten ab da richtigen Schul-Unterricht.
Ich hatte eine wunderbare Zeit, es waren so tolle Leute in meiner Klasse.
Wir hatten alle eine Gemeinsamkeit: wir waren in einem Alter (zwischen 16 und 21), in dem man eigentlich den Abschluss schon hat, aber hatten alle keinen.
Viele waren wirklich intelligent und hatten ein ähnliches Schicksal wie ich, es gab aber auch Andere, die einfach nur doof waren.
Fast alle Doofen waren dann im Januar nach der Vorprüfung weg, weil sie einfach zu schlecht waren, das war aber kein großer Verlust, die meisten von denen konnte ich eh nicht leiden.
Ich wurde in dieser Klasse akzeptiert, respektiert und gemocht. Das war früher nicht immer so.
Wir hatten leider keine normalen Schulferien, sondern viel weniger. KEINE Herbstferien, eine Woche Weihnachtsferien und nur eine Woche Osterferien.
Die Zeit verging und irgendwann war dann April 2011.
Die schriftlichen Prüfungen standen an.
Die habe ich mit größtenteils sehr guten Leistungen bestanden, ebenfalls wie die mündlichen Prüfungen (da musste ich mehre Präsentationen halten) im Juni.
Nur in Bio hat es dann nicht für eine 1 gereicht. Ich hatte in der Schriftlichen Prüfung eine 2 und in der mündlichen dann leider auch.
Für die Schriftliche Prüfung habe ich nicht genug gelernt und für meine Präsentation hatte ich mir ein zu komplexes Thema (Organtransplantation) ausgesucht, das ich nicht gut genug erklärt habe. Tja, selbst schuld.
Letzte Woche bekam ich dann mein Abschlusszeugnis und ich bin zufrieden, dass ich wenigstens das geschafft habe.
Ich wollte danach eigentlich wieder auf eine „normale“ Schule gehen, aber das geht nicht. Dafür bin ich schon zu alt.
Eine Privatschule, die 400€ im Monat gekostet hätte, wäre eine Möglichkeit gewesen, die hätten mich genommen.
Finanziell wäre das auch noch machbar gewesen, aber ich hatte es mir dann doch anders überlegt.
Am Montag habe ich mich bei einer privaten Berufsfachschule beworben, hatte dann gleich ein Gespräch mit dem Rektor, habe ihm meine ganze Geschichte erzählt und er war von meinem Zeugnis so begeistert, dass er mich prompt aufgenommen hat, obwohl seine Schule eigentlich schon „rappelvoll“ ist. Die Schule ist auch eigentlich nicht neu für mich, ich hatte im Rahmen meiner Maßnahme schon seit November dort ein mal wöchentlich Unterricht und ich kenne die Lehrer dort.
Ab August besuche ich also die zweijährige Berufsfachschule mit Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung.
Nach den zwei Jahren habe ich dann einen Realschulabschluss, mit dem man mehr als mit einem normalen Realschulabschluss anfangen kann.
Ich werde dort Fachunterricht zusätzlich zu den normalen Fächern haben, deshalb dauert das Ganze auch zwei Jahre.
Wenn ich fertig damit bin, mache ich entweder auf der gleichen Schule noch 2 Jahre Fachabi, die Möglichkeit gibt es, oder versuche, den Weg zurück auf eine „normale“ Schule zu gehen und dort 3 Jahre das richtige Abi zu machen. Ein Abendgymnasium wäre natürlich auch eine Alternative.
Ich bin also in 4 oder 5 Jahren fertig mit Schule und kann dann endlich anfangen, zu studieren. Das ist natürlich schon deprimierend, wenn ich sehe, dass meine Mitschüler aus der Grundschule nächstes Jahr ihr Abi machen. Aber ich werde das auch schaffen. Das wollte ich immer und das will ich auch immer noch! Das letzte Jahr hat mich so verdammt ehrgeizig gemacht.
Meine Maßnahme ist übrigens noch nicht vorbei, das ist sie erst am 18. Juli., da soll noch ein Abschlussgespräch mit den Anstaltsleiterinnen (das ist ja keine Schule und war es auch noch nie) stattfinden, aber da bin ich ja schon längst im Urlaub. Die Woche davor sind Ferien, also müsste ich eigentlich noch bis zum 8. Juli da hin gehen. Wir sollen uns da jetzt noch ein Praktikum mit Aussicht auf eine Ausbildungsstelle suchen, aber ich sehe den Sinn darin nicht. Ich mache mit Schule weiter und davon bin ich auch nicht abzubringen.
Am Montag war ich das letzte mal dort, danach nicht mehr.
Es waren nur sehr wenige aus meiner Klasse da, die meisten habe ich das letzte Mal letzte Woche Donnerstag bei der Abschlussfeier (die meinerseits in einem bösen Absturz endete, aber das ist eine andere Geschichte) gesehen.
Viele haben eben auch schon einen Schulplatz oder eine Ausbildungsstelle sicher und sehen das alles genau so, wie ich und kommen nicht mehr.
Das schöne ist ja, niemand kann mich zwingen, noch zu kommen. Ich habe meinen Abschluss.
Es sind ja schon Schulferien und ich will mich auch endlich mal vom Stress der letzten Wochen erholen.
Meine Lieblingslehrer sind eh schon alle weg, es gibt ja keinen Unterricht mehr, es ist nur noch eine Minimalbesetzung dort.
Im September, wenn die letzten Schüler (es sind ja keine (mehr), dennoch nenne ich die mal so) ihre Maßnahmen beendet (einige aus meiner Klasse kamen erst im November und müssen deshalb die zwei Monate länger bleiben) haben, macht diese Anstalt ja eh zu.
Das Arbeitsamt war mit denen scheinbar nicht zufrieden, weil zu viele nicht den Vorgegebenen Weg (der ja ganz klar Ausbildung hieß) eingeschlagen haben und stattdessen Schule oder irgendetwas anderes weiter machten.
Ich bin ja auch einer dieser Leute. Aber es tut mir nicht leid. Die ganzen gefeuerten Lehrer haben alle schon neue Stellen.
Ich gehe heute mal wieder hin (wenn ich nicht erst nachmittags aufwache) und schaue, was los ist.
Ich bin jetzt glücklich. Vor einem Jahr stand ich am Abgrund.
euer Jens
P.S.: Meiner Mutter habe ich die Geschichte mit der Schule, auf der ich 2008-2010 war, vorgestern nochmal erzählt. Vorher zwar auch schon, aber die hat mir ja nie zugehört. Sie will die Schule und meinen Ex-Klassenlehrer am liebsten verklagen, aber das bringt nichts, ich habe und hatte nie Zeugen für die Aussage des Lehrers damals. Ich hege keinen Hass auf diesen Menschen. Nicht mehr. Ich habe vergeben und mit diesem Kapitel abgeschlossen.
Es ist vorbei.